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Lagerfeuer

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Lf. Nr. 47 Matsuyama, Sonntag, den 17. Dezember 1916

Etwas aus I. W. 2, II. Schluss.

Die 3000 japanischen Pioniere treiben, unterstützt von Infanterie, zahlreiche Sappen in Schlangenlinien vor. Schnell schreitet ihre Arbeit fort. Am 2. 11. waren sie schon bis auf etwa 300 m vor I. W. 2-3 heran. Hätten wir doch nur einige Tausend Schuß mehr gehabt! Was wäre dann aus ihren Sappen geworden! Aber so konnten sie sich Tag und Nacht heranbuddeln, ohne von uns erreicht zu werden. Unsere Gewehrkugeln schlagen nutzlos in ihre Brustwehrkronen. Einige Neugierige oder Unvorsichtige, die ihre gelbbraunen Schädel mit der rotberändertenKakimütze über den Grabenrand hinausschieben, erhalten flugs ihren Fahrschein in die Ewigkeit, ebenso ihre Spitzenarbeiter an den Sappen, die, von unserer Wallampe erfaßt, regungslos verharrten und vermeinten, unbemerkt zu bleiben. Aber sie wurden eben bemerkt und bekamen ihren Teil. Auch die Minenwerfer bekamen und leisteten gute Arbeit. Was tat’s? Zehnhundertfach wurden draußen die Verluste ersetzt. Und bei uns? Einer nach dem andern fiel oder wurde verwundet, und da gab es keinen Ersatz. Und wer nicht tot oder verwundet war, mußte an ein Wunder glauben, daß er so heil inmitten dieses Blei- und Stahlhagels blieb.
Bei Tage ist schon gar nicht daran zu denken, die Nase in die Feuerlinie zu stecken. Es wird versucht, einige Stunden zu schlafen – es gelingt aber oft daneben. Wir haben das Gefühl, als ob da draußen gigantische Schmiede mit riesigen Vorschlaghämmern und mit größtem Kraftaufwand auf die Kaserne einschlagen. Die 1½ m Betondecke und 1 m Anschüttung darüber halten aber noch; wie lange noch – – – ?
Die Belegschaft der Stube 1 sitzt an den beiden Tischen und

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erzählt – Witze. Fr. Br., ein alter Seemann, der schon alle Erdteile bereist, haupt-sächlich aber das Yankee-Land unsicher gemacht hat, erzählt Schwänke aus seinem Leben. Es ist natürlich Seemannslatein; aber wir halten uns den Bauch vor Lachen. Von gedrückter Stimmung also keine Spur. Anders mag es freilich den Posten oben zu Mute sein, die unbekümmert um das donnernde Krepieren der Granaten und das wütende Heulen und Bellen der Schrapnells aller Kaliber ihre beinahe splittersicheren Postenstände an der Feuerlinie besetzen. Uoffz. d.L. He. wird im Postenstand 1 am rechten Schulterpunkt durch eine Haubitzgranate zerschmettert. Frw. V. fällt. Pionier Sch. bekommt einen Schrapnellschuß in Nacken, Hals und Wange.
Der Werkkommandant (seit etwa 4 Wochen Oblt. d.R. Schlicker, da Hptm. Schulz ruhkrank im Lazarett liegt, zieht die Posten am Tage zurück und läßt den Abschnitt durch I. W. 1 beobachten, das im Besitz eines Panzerbeobachtungsstandes ist. Solange die Japaner noch Quadratmeter um Quadratmeter vom Glacis und der Feuerlinie abhämmern, ist ein Überfall nicht zu befürchten, und Nachts sichert ein Drittel der Besatzung das Werk gegen Überraschungen.
Abends, so etwa zwischen 5 und 6 Uhr, ist das Feuer schwächer geworden. Nur die „etatsmäßigen“ Schüsse fallen noch aus Richtung Höhe 60,83 und Kuschan. Diese Pause wird jeden Abend benutzt, um die Wache abzulösen. Die abgelöste Wache bleibt in Reserven; die bisherige Reserve wird Bereitschaft, die Bereitschaft Wache. Die Wache und Bereitschaft haben fieberhaft zu arbeiten, um die Schäden in der Zeit der Feuerpause wieder einigermaßen auszubessern. Die Arbeit ist freilich fast umsonst getan; denn jeden Tag wird sie wieder zerstört, und die Schäden zeigen sich umfangreicher. Fast kein Gruppenstand

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ist mehr heil; die Postenstände liegen alle in Trümmern, und von den „bomben-sicheren“ Maschinengewehrständen sind nur noch zwei einigermaßen brauchbar. Meterlang ragen die 10 mm starken Eisenstäbe aus den zerfetzten Moniergeflechten der Rückenwehren heraus und sperren fast den Verkehr. Sie werden zurückgebogen, die Löcher mit vorrätigen Sandsäcken aus gefüllt, die Schrapnell- und Kopfblenden aufgestellt und fertig sind die Gruppenstände – für heute. Morgen ist’s wieder so. So ging es bis zum 7. 11. morgens.
Die Pioniere sind an ihren Posten. Nacht für Nacht. Zwei Mann am Minenwerfer des rechten Schulterpunktes (Kn. und K.), zwei Mann an dem in Frontlinie Mitte (Am. Th.), zwei an den Minenzündstellen in der Front und rechten Flanke, die außerdem noch die Frontlinie abzupatrouillieren haben. Das ist meiner Ansicht nach die Einbruchsstelle beim Sturm. Die beiden Steilhänge, 130 m vor der Front, begünstigen ein solches Unternehmen ganz besonders. Das Haupthindernis kann an diesen Stellen nicht einmal von uns unter Feuer genommen werden: das muß von I. W. 1 und 3 geschehen. Nach dem 2. Tage Beschießung von Land aus waren die Zündkabel zu den sieben elektrischen Minen trotz starken Feuers noch in Ordnung. Am 3 nachts bei der Prüfung schlug der Leitungprüfer nicht mehr aus. Das Kabel ist zerstört, ebenfalls das zu den beiden Minengruppen am nördlichen Steilhang innerhalb des Haupthindernisses. Mit Pionier A. versuche ich, wenigstens die beiden letzten Leitungen unter allen Umständen zurecht zu bekommen. Die fast einstündige Arbeit im Schrapnellfeuer ist vergeblich. Das Kabel ist so zerfetzt, daß eine vollständig neue Leitung hätte gelegt werden müssen. Der Leitungsdraht ist aber aufgebraucht.
Vor I. W. 4 und 5 laufen die Japaner Sturm, aber ohne

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Erfolg. Unsere helle Freude hatten wir an den Perlen der zwanzig Maschinengewehre, die die Japaner empfingen. Bei uns wird’s seit dem 2. 11. auch lebhafter. Die Japaner sind überall bis an das Haupthindernis heran. In diesem sind große Gassen, und die Stellen vor den Steilhängen der Front sind wahrscheinlich schon vollständig von den Japanern aufgeklärt. Japanische Schleichposten kriechen auf dem Zwischenglacis herum. Sie werden abgeschossen. Mit großer Streuung suchen vier japanische Maschinengewehre die Schützen an unserer Frontlinie abzuschrecken, bis unsere Minenwerfer und Maschinengewehre sich vorübergehend ruhe verschaffen. Eigenartige Geschosse schlagen bei uns ein und krepieren. Es klingt, als ob jemand Blechscherben und Kleineisenzeug aus großen Blechgefäßen ausgösse. – Fliegerbomben? Sehr gute Leuchtballen verwenden die Japaner als Wurf- und Leuchtminen; aber ihre Wurfminen sind wirkungslos, auch wenn man auf 2 m Entfernung von der einschlagenden Wurfbombe steht. Dagegen haben sie den großen Vorteil, daß von uns nie das Mündungsfeuer der japanischen Gewehre und Maschinengewehre erblickt werden kann. –
Wir erwarteten für diese Nacht den Sturm. – Er erfolgte nicht. – Uoffz. von Br. sprengte mit drei Pionieren das Blockhaus 4 zwischen I. W. 1-2. Eine peinliche Arbeit. Er mußte mit zwei Kisten Dynamit unter Schrapnell- und Gewehrfeuer das Glacis und das Werkhindernis, das an der rechten Flanke noch ziemlich heil war, durchqueren. Pikrin ist auf diese Weise und auf diesem Wege ungefährlicher zu transportieren; es war aber nicht in ausreichender Menge vorhanden. Ein Gewehrtreffer kann aber das Dynamit zur Detonation bringen. Die Abteilung kam aber glücklich durch und konnte ihre Aufgabe gut erledigen. Bald danach richteten sich die Japaner in den Blockhaustrümmern ein; sie wurden aber von dem Minenwerfer rechter Schulterpunkt (Gefr. Kn. und Pionier K.) unter

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Feuer gehalten. Der Bereich dieses Minenwerfers erstreckte sich nun auf die Hindernisrawine, den japanischen Sappen und Schützengraben auf dem Glacis, dem Steilhang vor der rechten Flanke und dem gesprengten Blockhaus. Die Minenzündstelle der rechten Flanke übernimmt Uoffz. v. Br.
Am 6. 11. abends. Als wir herauf in die Feuerlinie kamen, war unsere erste Arbeit, wie gewöhnlich, das Ausbessern der Schäden. Aber es sah bös aus; die Trümmer hatten sich vermehrt. Im Werkhindernis haben 2, 3 oder mehr Granttreffer auf einer Stelle die Gasse vergrößert. Heute abend werden sie wohl kommen. Etwa 60 Matr. Artl. haben die Besatzung von I. W. 2 verstärkt; auch anderer Zuzug hatte vor der Beschießung die K. 7 auf etwa 180 Mann gebracht. –
Das Artilleriefeuer hat sich verstärkt. Auch unseres setzt noch manchmal stark ein, wird aber bald merkbar schwächer. Wir füllen es – wir sind bei der letzten Kraftprobe. –
Gegen Mitternacht läßt uns unsere einzige noch heile Wallampe plötzlich erkennen, daß die Japaner die Haupthindernismauer zwischen I. W. 2 - 3 am Fußpunkte durchbrochen haben, in Massen durchdringen und sich im Blockhaus festsetzen. Jetzt trat unser Maschinengewehr auf dem linken Schultepunkt in Tätigkeit. Der M. G.-Schütze fällt. Ein Obermatrose, der mit der Verstärkung gekommen war, bedient nun das Gewehr mit meisterhaften Geschick. Das Rohr ist glühend – keine Zeit zum Abwechseln – ein Gurt Patronen nach dem andern wird durchgejagt; auch der Minenwerfer spuckt hinüber. Erneutes Beleuchten zeigt, daß das Vordringen – wenigstens vorläufig – aufgehört hat. Sie gruben sich, die nur noch verbleibenden 20 m bis zum Blockhaus, ein. Nun sind Gewehr und Maschinengewehr machtlos. Nur noch der Minenwerfer könnte etwas leisten. Aber auch die Wurfminen sind in der großen Rawine vor uns und Kan-tschia-tschuang– ein schöner Platz

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für Sturmtruppen und Reserven – viel besser angebracht. Ganz sicher haben sie sich dort gesammelt. Oft kann der Beobachter melden; „Schuß sitzt!“ oder „Mitten drin!“ trotzdem wir nicht etwa wie die japanischen Schiffe Übungschießen haben. Es hagelt im Gegenteil Schrapnells aller Kaliber. Aber „die dhunnischt, m’rhad sich schon dran geweehnd“, sagte Pionier A., der mit Pion. Th, den Minenwerfer, Frontlinie-Mitte, bediente und seine Pflicht wirklich mit „Bombenruhe“ erfüllte. Ganz so harmlos waren sie allerdings nicht; eben hatte so ein Ding die Kopfblende, durch die ich längere Zeit auf einige Spitzenarbeiter in den feindlichen Gräben geschossen hatte, in dem „splittersicheren“ Unterstand neben dem Minenwerfer getroffen und sie wie ein Pappschachtel zusammengerollt. Es war nur ein kleines Kaliber (etwa 6,5 von der Batterie auf Höhe 58), aber der Unterstand ging auch in Trümmer. Es „dhad aber weider


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nischt.“ Nur wenn ich vielleicht drei Sekunden später zum Beobachtungsoffizier an der Wallampe hätte gehen sollen, wäre es höchstwahrscheinlich unmöglich gewesen.
Als ich kurz darauf zurückkam, sagte mir A.: „M’rham nochmal Glick gehabd; Herr Scherschant war gerade raus, da schlug das Ding ein!“
„Bei Ihnen was passiert?“
„Der Minenwerfer ist noch ganz, nur d’rBulverkast’n und baar Minen sind verschüttet!“
Mit ein paar Mann räumten wir schnell die Trümmer fort, einige zwei Zoll-Bohlen und eine Lage Sandsäcke darüber, verhalfen uns, unserm Pulverkasten und unseren Wurfminen wieder zu einem notdürftigen Splitterschutz.
„Wenn andere gute Ziele auftauchen, dann dazwischen halten; ich gehe zum linken Schulterpunkt (etwa 30 m entfernt).“
Auf dem Wege dahin, an der Nordraumwache, kam eine schlechte Nachricht. „I. W. 3 ist abgeschnitten; wir erhalten von dort keine Nachricht mehr.“
Auf eine andere Beobachtung wirkte befremdend. Der große Scheinwerfer hinter I. W. 3 warf seine Strahlen starr geradeaus. Er müßte doch streuen, abblenden, wiederaufleuchten. Haben ihn die Japaner schon? Das hieße, die Zwischenraumstellung I. W. 2 - 4 ist überwältigt!! Aber I.W. 3!!? Aber einzelne Schüsse kommen von dort zu uns herber! Das kann nicht von den unsern sein, denn wir sehen kein Mündungsfeuer. Teufel, ist dann auf I.W. 3 schon erledigt?? Das wäre das Ende. –
Die Japaner lassen alle Register ihrer Höllenorgel spielen. Ein Mündungsblitz neben dem andern taucht am nächtlichen Horizont auf, so daß man meinen könnte, die Nacht ist dort nicht schwarz, sondern rot. Leuchtraketen, Schrapnellraketen, Leuchtballen und Signalsterne zerreißen hier das Nachtdunkel. Unsere letzte Wallampe

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ist zerschossen. Etwa drei Dutzend ihrer Doppelspiegel haben ihr Schicksal bis jetzt hinausgeschoben. – Unbeschreiblich dieses wütend heulende Bellen der Schrapnells und das Krachen der Granaten, mit denen die Werke, Batterien und Zufahrstraßen überschüttet werden. Oft genug trifft einen ein glühender Strahl Sprenggase beim Krepieren der Geschosse – hat’s einen noch nicht? – – Sonderbar, oft schaut man direkt hinein in die unmittelbar vor einem auftauchenden Sprengblitze und gedankenschnell fährt’s einem durchs Hirn: „Der ist’s!“ – – – „Wieder nichts. Die haben aber einen Schund!!“
Von der Flanke und vom Rücken her wurde das Feuer auf uns immer stärker. Die Verluste mehrten sich. (Lt. d.R. Z. – Beinschuß, M.G.-Schütze H. – rechter Schul-terschuß, Uoffz. d.L. H. – Beinschuß, zwei Obermatrosen – tot, drei Matrosen verwundet).
Wie es in der Kehle aussah, wußten wir nicht. Wir hielten diese Stellungen auch noch nicht für sehr gefährdet. Die Japaner gruben sich schon nach der linken Flanke heran; auch nach der linken Front strebten sie. „Jetzt raus, was raus will!“ Die Maschinengewehre knattern und lebhaftes Schützenfeuer auf beiden Seiten setzt ein.
„Die Minen alle verschießen und dann die Minenwerfer sprengen; wenn sie alle sind, Handgranaten klar!“ Meine letzte Anweisung sollte dies sein. Nicht sehr lange danach, etwa 530Uhr morgens, kam der Befehlt des Werkkommandanten: „Alles in die Kaserne!“
„Jetzt sind sie drin!“ rief einer in meiner Nähe. Die Gewehre in den Fäusten; die Maschinen-Gewehrschützen packten ihre Maschinengewehre auf, noch ein paar Handgranaten aufgerafft, so stürzten wir paar Gruppen zur Kasematte. Im Hof – wie erwartet _ waren sie noch nicht, aber von allen Seiten drang ihr heiteres, sich weit nach rückwärts fortpflanzendes „Baanshah-ah (Banzei) auf uns ein.

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Ich begab mich sofort zum Werkkommandanten und erbat Entscheidung, ob der Kehlbau und die Kaserne oder der Kehlbau allein in die Luft gesprengt werden sollten. Im Kehlbau lag Ladung u. Zündung bereit (9 Kisten Dynamit, 6 Kisten und 3 Fässer Pulver, einige Hundert Sprengkörper und Handgranaten hätten zur Not genügt). Daß die nun nicht mehr brauchbaren Verteidigungsmittel gesprengt werden sollten, wüßten wir bestimmt. Aber sollten wir selbst in die Hände der Engländer oder Japaner fallen? – Und wie dann, wenn sie entehrende Bedingungen stellten? dann würden mit dem letzten Sprengschuß wohl alle Verteidiger, aber wenigstens auch noch eine ganze Anzahl Angreifer auf dem Platze bleiben. Die Entscheidung war noch nicht gefallen, da erdröhnte schon das Knallen der eisernen Luftdrucktüren, die vor den Nasen der Gelben zuschlugen und die Japaner donnerten vergeblich mit den Kreuzhacken dagegen. Der Entschluß wäre nun nicht mehr ausführbar gewesen. Das war der bittere Rest. Wir – – waren – – gefangen!
Von rückwärts hatten sie sich herangearbeitet, nachdem sie gegen Mitternacht das I. W. 3 bezwungen und die Besatzung der Zwischenstellung zurückgedrängt hatten. Die große Lücke in der Verteidigungslinie war da und ließ sich nicht mehr ausfüllen. Nun waren die Werke isoliert, deren Hindernisse streckenweise aufgerollt und die Verteidigungslinie dünn besetzt, ohne Reserven. (Auf etwa 450 m Verteidigungslinie etwa 200 Mann). Dazu schwieg nun unsere Artillerie fast überall. Nur an sehr vereinzelten Stellen kurzes aufflackerndes Feuer, bis sich mit dem letzten Kanonendonner die Detonationen der eigenen Sprengpatronen vermischten.
In diesem Stadium des Kampfes sah der Werkkommandant, daß die dünne Schützenkette, die nun von allen Seiten einstürmenden

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Massen für einige kurze Augenblicke vielleicht aufhalten, das böse Schicksal des Werkes aber nicht mehr abwenden konnte, und er gab den bitteren Befehl, den härtesten Befehl, den der Soldat in diesem Falle kennt; „Zurückziehen!“ Er sagte sich wahrscheinlich: Jeder Mann, der jetzt noch Widerstand leistet, hält das Schicksal doch nicht mehr auf und wird nutzlos geopfert! –
Im rechten Bereitschaftsraum stand noch ein heiles Maschinengewehr. Auf das durften sie nicht ganz bekommen. Sprengen ging nicht. einige Axtschläge auf den Lauf, den Verschlußdeckel mehrmals umgebogen, dann abgerissen und sämtliche irgendwie abnehmbaren inneren Teile herausgenommen und in das Feuer des großen Kochkessels geworfen, war das Werk kurzer Minuten. Auch du meine treue Knarre (Nr. 92 P.K.) sollt niemand mehr dienen – zwei kräftige Hiebe an die Ecke des Betonmauerwerks, krummer Lauf, ohne Schloß, und abgeschlagener Kolben ist der Rest, dessen sich die Japaner bedienen können, wenn sie Lust haben. –
Im Wohnraum 1 treffe ich, Gott sei Dank, meine Pioniere. Es fehlt nur einer und der liegt im Lazarett.
Nun fordert die Natur ihre Recht. Der Magen knurrt und muß diesmal mehr als sonst aufnehmen, um den Mangel an Schlaf etwas auszugleichen. In den letzten zehn Tagen keine Nacht, außer am 4. 11., geschlafen. Nur am Tage zwei - drei, wenn es hoch kam, vier Stunden. Alles, was ich noch im Bettkasten habe, wird hervorgeholt; aber es will nicht richtig schmecken. Ist’s die Übernächtigkeit oder das Gefühl, nun den Japanern in die Hände gefallen zu sein? Ich weiß es nicht!
Draußen wird verhandelt. Zwei Landwehrunteroffiziere, die früher in Japan tätig waren, spielen Dolmetscher. Eben höre ich, daß von uns die Bedingung gestellt ist, daß wir uns nur

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den Japanern, nie aber den Engländern ergeben werden, und daß die Engländer absolut kein Bestimmungsrecht über uns haben dürfen. Dies wird von dem verhandelnden japanischen Offizier ohne langes Zögern angenommen. Nach langer Verhandlung wurde bekanntgegeben, daß unseren Offizieren und Portpeeunteroffizieren der Degen belassen würde, und daß sich jeder unter Mitnahme von soviel Eigentum, wie er tragen könne, zum Abtransport bereithalten solle. Vor allen Dingen solle nicht mehr irgend welcher Widerstand geleistet oder militärische Gegenstände vernichtet werden. Den nunmehr Gefangenen wurde versichert, daß ihre Soldatenehre und ihr Leben von den Japanern geachtet werde.
Draußen und drinnen wurden die Bedingungen bekanntgegeben. Nun wurden die Luftdrucktüren geöffnet und das gelbe Volk strömte herein, vor den Ecken und Türen die Bajonette stoßbereit haltend und überallhin sich verteilend. Wir waren beim Einpacken der paar Habseligkeiten, die wir mitnehmen wollten und ließen uns darin nicht stören. Da kam der Befehl unseres Kommandanten; „Alles antreten!“
Wir traten auf den Hof, der von starker Postenkette umstellt ist, heraus. Die Kompagnie steht schon eine kurze Zeit vollzählig da. Der japanische Offizier läßt durch die Dolmetscher nochmals ansagen, daß alles antreten soll. Es wird abgezählt und ihm gemeldet, daß alles da sei.
Ungläubiges Kopfschütteln.
Drei Unteroffiziere werden nochmals durch die Räume geschickt, um etwa zurückgebliebene Leute (Köche, Krankenträger usw.) heranzuholen. Das erfolglose Suchen wird dem Japaner gemeldet. Dieser ist ganz verwundert und ungläubig.
„Es müssen noch mehr da sein, wenn sie nicht sofort antreten,

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wird die Kaserne gesprengt,“ sagt er.
„Es ist alles da,“ ist die kurze Erwiderung. Lange Gesichter bei den „glorreichen Siegern“. Wenn sie längere Ohren gehabt hätten, glaube ich bestimmt, daß sie damit „geschlackert“ hätten. Da schreit’s in kurzen, abgehackten Brocken von der Böschung herunter; „Es ist unmöglich! Unsere Flieger haben hier 1500 Mann gemeldet!“
Stilles spöttisches Lächeln unsererseits. Ja, es waren eben nicht mehr als 220 Mann, einschließlich der 60 Matrosen-Artilleristen. –
Ketscher.

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Eine Tsingtauer Erinnerung.

Es war schon mehrere Jahre nach der Gründung. Tsingtauhatte sich heraus-gemacht, hatte eine Menge stattlicher Häuser, saubere breite Straßen, die an beiden Seiten grünen Baumschmuck aufwiesen, eine Wasserleitung und elektrische Straßenbeleuchtung. Handel und Verkehr hatten sich merklich gehoben. Dampfer kamen und gingen. Der Dschunkenhafen lag voller Segler. Die Schantungbahn hatte ihre Eisenfühler schon bis Kaumi vorgestreckt. Rikschas verkehrten in den Straßen, auch bereits hin und wieder eine Droschke. Der findige Hosingkee hatte sogar ein Fahrradverleih-Institut eröffnet, das sich namentlich bei den Besatzungstruppen und den Angehörigen des Kreuzergeschwaders großer Beliebtheit erfreute. Kurz, Tsingtau bekam großstädtischen Zuschnitt.
Der früher vorherrschende etwas rauhe Ton war langsam gewichen, seitdem die, himmlische Rosen ins irdische Leben webende Weiblichkeit ihren Einzug in die junge Kolonie erhalten hatte. Manch Glied aus früheren, lustigen Zecherkreisen, manch verknöcherter Junggeselle war unter die Haube, mancher sogar unter den Pantoffel gekommen, und auch ich war vom

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ersten Urlaub beweibt aus der Heimat zurückgekehrt.
Wir hatten eine Glucke gesetzt – meine Frau und ich – eine große italienische Henne, den Stolz unseres Hühnerhofs. Geduldig hatte sie nun bereits 20 Tage in der großen Hundebude, die noch aus früheren Tagen stammte, gesessen und den ihr untergelegten 15 Eiern die größtmöglichste Sorgfalt zugewendet. In alten Stellungen hatte sie sich bemüht, ihrem werdenden Nachwuchs möglichst gleichgeteilt ihre lebenbringende Wärme zuzuführen. Das hatte ich an jedem Tage, morgens, mittags und abends, beobachten können.
Mein Interesse an der Hühnerzucht im allgemeinen und an den Verrichtungen dieser Glucke im besonderen hatte sich zur Manie gesteigert. Viertelstundenlang konnte ich in Hockstellung vor dem Eingangsloch der Bude sitzen und liebevoll dem still brütenden Tiere zusehen.
Des öfteren versuchte meine in allen Zweigen der Landwirtschaft erfahrene Frau mir klar zu machen, daß eins in diesem, also in anderen als gewöhnlichen Um-ständen befindliche Henne nicht gestört werden dürfe. Ich konnte das nicht einsehen. Im Gegenteil dachte ich, mein Interesse und meine Teilnahme werden ermunternd auf das Tier wirken und seinen ruhigen Eifer fördern. So näherte sich die Sitzung ihrem Ende. Morgen sollte der große Kükengeburtstag sein.
In aller Morgenfrühe war ich auf den Beinen. Vorsichtig schub ich das Brett, das die Öffnung der Bude verschloß, beiseite und sah hinein. Aber ich konnte außer der Glucke nichts lebendes darin entdecken. Diese saß wie vordem still und gedankenvoll im Nest und rührte sich nicht Ganz leise versuchte ich mit der Hand, einen Flügel der Glucke zu heben und den Zeigefinger unter des Gefieder zu schieben.

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Vielleicht konnte ich so etwas Lebendiges feststellen. Aber der Versuch gelang nur halb. Das Vieh gab mir, ehe ich mich versah, einen empfindlichen Schnabelhieb auf die Hand, sträubte die Federn und warf mir eine feindlichen Blick zu. Ich zog mich sogleich und stillschweigend zurück.
Als ich mittags aus dem Büro kam, war die Bescherung da. Stolz zeigte mir meine Frau 12 kleine, gelbe, wie Kanarienvögel aussehende Piepmätze, die in einem Drahtkäfig, gesondert von den anderen Hühnern, lustig um die Mutter herumliefen und im Sande scharten und pickten, als wenn ihnen das schon eine alte Gewohnheit gewesen wäre. „Schade“, sagte meine Frau, „3 Eier sind nicht ausgebrütet worden; sie liegen noch im Nest“, und mit einem Seitenblick auf mich: „Zum Brutgeschäft braucht eine Glucke eben absolute ruhe; jede, auf die kleinste Störung, wirkt hindernd auf die Entwicklung des Lebens im Ei.“ Ich verstand sofort, daß eigentlich fünfzehn Küken hätte sein müssen, kam mir aber erst jetzt in den Sinn.
„Vielleicht ist noch etwas zu retten“, bemerkte ich, „die Schale gerade dieser Eier ist wahrscheinlich zu hart, um von den weichen Schnäbeln der kleinen Vögel durchgepickt zu werden; da hilft man einfach von außen.“
Den Einwand meiner Frau hörte ich nicht meh; ich hatte mich mit dem halben Oberkörper bereits in die Hundebude gezwängt, holte mein Taschenmesser hervor und tief über das Nest gebeugt, klopfte ich erst leise, dann stärker mit der Messerspitze gegen die Wand des mir zunächstliegenden Eies.
Da erfolgte plötzlich eine fürchterliche Explosion. Mit Pistolenknall zerbarst die Schale, eine entsetzlich stinkende,

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klebrige Flüssigkeit spritzte mir in die Augen, überflutete mir Stirn, Mund und Hände. Ich fühlte, wie mir der eklige, gelbgrüne Saft aus den Haaren über Augen und Lippen in den Hals rieselte und sich erst in der Rückengegend langsam zu verdichten begann. Einen Augenblick war ich vie erstarrt, dann hatte ich die Situation erfaßt. Mit fest geschlossenen Augen und aufeinander gepreßten Lippen zwängte ich mich, so schnell ich konnte, wieder aus dem Loch, in dem die Luft nicht mehr zum Aushalten war.
Das unchristliche Lachen meiner Frau weckte mich aus halber Betäubung, und ich rief nach warmem Wasser und Seife. Gottlob bewirkten diese Dinge und eine halbe Flasche 4711, daß ich nach und nach wieder meinen Geruch verlor. Dies Bewußtsein und die reine Wäsche gaben mir meinen Frohsinn zurück und ließen mir das Leben wieder heiter erscheinen, aber mein Interesse an der Hühnerzucht hatte sich merklich abgekühlt.
Retlaw.

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Übersicht über die Preisträger in der Kunstausstellung.

I. Gruppe: farbige Originale (geprüft 107 Stück).
1. Preis Schneelandschaft Nina 96Sees. Blomberg
2.ʺ Portrait, Matrose F.W.R.113Vfw. Rasenack
3.ʺLandschaft am Abend F.W.R.109ʺʺ
4.ʺ Landschaft M-A 16,7 Pion. d.L. Suhr
5.ʺ Schattenbilder Dil. 11Sees. v. Holstein
6.ʺ Stilleben ʺ 12 ʺʺ
7.ʺ Tempel ʺ 16ʺʺ
Lob. Amerk.Musikabend Greif 10Vfw. Möller
 Ausstellung ʺ16ʺʺ

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Lob. Anerk.Landschaft S.Y. 7Uoffz. Neuneier
 Kokaidoabend Bierseidel 42Sees. Baist
 Landschaft Vefi 61 ʺ Lätzsch

II. Gruppe: farbige Kopien (geprüft 40 Stück).
1. PreisStudie Dil 5Sees. v. Holstein
2.ʺBlumenstock Sh. ʺ Bunge 
3.ʺKopf S.Y. 5Uoffz. Neuneier
4.ʺKopf F.W.R.104Vfw. Rasenack
Lob. anerk.Gaischa Wi 2Gefr. Küntzelmann

III. Gruppe: einfarbige Originale (geprüft 50 Stück).
1. PreisTsingtau Gedenkblatt Nina 103Sees. Blomberg
2.ʺSkizze Greif 3Vfw. Möller
3.ʺTempelaufgangM-A 16,2Pion.d.L. Suhr
4.ʺLandschaftEva 121Sees. Freisewinkel
5.ʺBuchzeichenNino 89ʺ Blomberg
Preis des
Lagerfeuers
TempelaufgangM-A 16,2Pion. d.L. Suhr

IV. Gruppe: einfarbige Kopien (geprüft 22 Stück).
1. PreisHusar Her. 40Gefr. Wichelhaus
2.ʺDeutsche LandschaftM.F.B.5Hptm. Stecher
3.ʺ Deutsche BurgM.F.B.6ʺʺ

V. Gruppe: Vergrößerungen nach Photographien (gepr. 11 Stck).
1. PreisJapaner T.37Sees. Koch

VI. GruppeL Handfertigkeitsarbeiten.
1. Preis3 Schiffsmodelle Sfm. Mt. Seegebarth
(beste Leistg. Fünfmaster) Sees. Schultz, Edler
2.ʺBaßgeigeSergt. Fabel
3.ʺ1 HandspiegelNr. 147Sees. Höhne
2 Tabakskasten ʺ148ʺʺ
1 Bridgekasten ʺ149ʺʺ

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3. Preis4 Zigarettenkasten Nr. 151Sees. Höhne
1 Balalaika ʺ152 ʺʺ
(beste Leistg. Tabakskasten)
4.ʺSchmetterlingsammlungenB.Gefr. Büttner
Lob. Anmrk.1 Schränkchen Vfw. Eggert
3 BücherNr. 153Sees. Höhne

Der Ehrenpreis für das Gedenkblatt an die Tsingtau-Gefallenen konnte nicht erteilt werden, weil keiner der eingelieferten Entwürfe den Anforderungen genügte.

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