Lagerfeuer

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Lf. Nr. 16 Matsuyama, Sonntag, den 14 Mai 1916

Die irische Frage.

(Mit Rücksicht auf die letzten Voränge in Irland folgen wir
einem uns geäußerten Wunsche und drucken mit einigen
Kürzungen die Darstellung der irischen Frage ab, die Egel-
haaf in seiner Geschichte der neuesten Zeit V. Auflage 1915 gibt.)

Eine der schwersten inneren Fragen, mit denen England zu ringen hat, ist seit Menschengedenken die irische. Die Insel Irland (84 000 qkm) war im Altertum ausschließlich von Kelten bewohnt, ebenso wie England vor 449 und wie Wales und ein großer Teil Schottlands heute noch, und stand im Mittelalter unter einen Oberkönig, dessen Würde jeweils einer der vier Könige von Connaugt und Munster im Westen, Ulster und Leinster im Osten inne hatte. Unaufhörlich innere Fehden zwischen den Königen und Häuptlingen zerrissen das Land. Ein räuberischer und blutdürftiger König von Leinster, Dermont, der 1167 von seinen Gegnern verjagt wurde, rief die Hilfe König Heinrichs II. von England an, der 1169 seine Lehnsleute über die irische See setzen und Dermont zurückführen ließ. Die Köpfe von 300 getöteten Gegnern wurden von Dermonts Kriegern ihrem König vor die Füße gelegt, der in unversöhnlichem Groll dem Kopf seines bittersten Feindes Nase und Lippen abbiß. Von dieser Zeit an beginnt die Unterwerfung der Insel durch die Engländer. Der englische Teil erhielt nach dem Vorbild Englands ein eigenes Parlament, dessen Berufungs- und Beratungsgegenstände Heinrich VII aber 1494 auf einem in Drogheda versammelten Parlament von der Zustimmung des Königs von England, seines geheimen Rates und seines irischen Statthalters abhängig machte. Diese „Statuten von Drogheda“ wurden ein Hauptmittel zur Entwicklung der englischen Macht

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über Irland. Als im 16 Jahrhundert in England die Reformation eingeführt und durch die Königin Elisabeth das katholische Kirchengut in Irland der dort eingerichteten evangelischen Staatskirche überwiesen wird, trat zum Gegensatz der Rassen, der Kelten und Germanen, der der Religion. Heute noch sind etwa ¾ der Einwohner Irlands katholisch. Da die Iren öfters das englische Joch abzuschütteln suchten, so 1555-1603 unter Führung des Grafen von Tyrone, so ward den Rebellen durch Elisabeth ihr Grundeigentum genommen und an englische Einwanderer übertragen. Besonders im Nordosten der Insel, in Ulster (um Belfast), wurden, seit 1607 unter Jacob I. angeblich eine neue Verschwörung Tyrones entdeckt worden war, zahlreiche englische und schottische Einwanderer angesiedelt, um der englischen Herrschaft eine Stütze zu geben. Bei erneuten Aufständen 1641-52 und 1689-91 erfolgten neue Gütereinziehungen. Gelegentlich wurde so durch Parlamentsbeschluß eine Million Morgen auf einmal den Besitzern genommen und an Protestanten verteilt. Die Masse des Landes, 9½ Million Morgen von 11 im ganzen gehörte schließlich den 292 großen und 1942 mittleren Landlords, Landherrn, welche meist, aber nicht alle von englischer Abkunft waren und oft ihre Güter gar nicht selbst bewohnten, sondern sich den (oft sehr geringen) Pachtzins nach England schicken ließen. Verhängnisvoll war es, daß der 1688 aus England wegen seiner Katholisierungsbestrebungen verjagte König Jakob II. im Kampf gegen seine Tochter Mary und deren Gemahl Wilhelm III. von Oranien an den Iren eine Stütze fand und mit französischer Hilfe dort einen Krieg entzündete, der erst durch Wilhelms III. Sieg über Jakob II am Boyne-Fluß (10. Juli 1690) und den Sieg Ginkells über die von dem französischen General St. Ruth befehligten Ihren an den Sümpfen von Aghrim (östlich von Galway) g1-16-3 (311)

1691 beendigt wurde. Die Hugenottischen Reiter unter Rovigny, die durch Ludwig XIV. Unduldsamkeit aus ihrer Heimat ausgetrieben waren, haben diese Schlacht wesentlich mitentschieden. Infolge dieser Siege wurden die katholischen Iren, die über ¾ der Gesamtbevölkerung ausmachten, als Menschen von verdächtiger Gesinnung behandelt. Der Vertrag von Limerick, der den Katholiken Religionsfreiheit und Besitz ihrer Güter zusicherte, ward von dem Sieger gebrochen.
Höhere katholische Priester, Dekane und Bischöfe wurden auf Grund eines Gesetzes von 1698 gar nicht im Lande geduldet, ebensowenig Ordensleute. Die niederen Priester durften ihre Grafschaft nicht verlassen. Seit einem Gesetz unter König Wilhelm III. 1691 war allen Katholiken das Recht abgesprochen, im irischen Parlament zu sitzen und irgend ein bürgerliches, militärisches und kirchliches Amt auf der Insel zu bekleiden. Auch durften sie weder Grundeigentum erwerben, noch ein Testament errichten, noch Ehen mit Protestanten eingehen. Überdies wurden die Iren durch die Raubgier der Großgrundbesitzer und der Zehntpächter und durch die der Insel auferlegte Handelsbeschränkungen wirtschaftlich schwer bedrückt. 1666 ward verboten, Vieh von Irland nach England auszuführen, 1698 traf ein gleiches Verbot Wolle und Wollstoffe. Die englische Schiffahrtsakte von 1649 (sie bestimmte, daß keine Waren nach England gebracht werden durften außer auf englischen Schiffen oder auf solchen des Ursprungslandes, und war hauptsächlich gegen den holländischen Zwischenhandel gerichtet) war jetzt auch auf Irland angewandt und demgemäß den Iren untersagt überseeische Waren in England einzuführen. 1727 wurde den katholischen Iren auch das aktive Wahlrecht entzogen. Der englischen Kirche, welche in jedem Kirchspiel ihren Geistlichen neben dem katholischen aufstellt, mußten auch die

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Katholiken den Zehnten entrichten.
Gegen eine solche Bedrückung erhob sich immer wieder das Rechts- und Freiheitsgefühl des mißhandelten Volkes, und öfters entstanden bewaffnete Banden, welche den Bedrückern furchtbar wurden. Als der amerikanische Krieg (die Losreißung der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika unter George Washington von
1775-1783) für England ungünstig verlief, wurde 1782, als Beruhigungsmittel dem irischen Parlament die Selbständigkeit zurückerstatte, auch wurde die Wolleausfuhr freigegeben. Die französische Revolution rief unruhige Bewegungen auf Irland hervor. Im Dezember 1796 ist General Hoche mit 20 000 Mann französischer Truppen vor der Insel erschienen und nur durch widrige Stürme von einer Landung abgehalten worden, welche leicht unabsehbare Folgen hätte haben können. Ein Geheimbund von angeblich 500 000 Verschwörern – in Wahrheit waren es freilich nur 100 000 – setzte sich das Ziel Irland von England loszureißen. Drei französische Expeditionen kamen ihm zu Hilfe, und nur unter großen Blutvergießen und entsetzlichen Greueln auf beiden Seiten ward die Ruhe hergestellt. Zur Behauptung der englisch-protestantischen Herrschaft in Irland wurde am 21. September 1795 eine Bund der „Oranienmänner“ errichtet, der in allen Teilen des britischen Reiches Zweigvereine gründete. Der übliche Trunkspruch bei den Festen der „Bundeslogen“ lautete: „Auf das glorreiche, frommen und unsterbliche Andenken des großen und guten Königs Wilhelms III., der uns vor Papsttum, Sklaverei, Schmach, Messinggeld (Jacobs II. falsche Münzen) und Holzschuhen (= Franzosen) bewahrt hat!“ Um neuem Aufruhr vorzubeugen, gab es aber wie es schien, nur ein Mittel: 1800 vermochte der jüngere Pitt durch Bestechung das irische Parlament, das aus lauter Protestanten bestand, einer Verschmelzung Irlands mit Großbritannien zuzustimmen, wie

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1707 die Verschmelzung England mit Schottland stattgefunden hatte. Das irische Parlament hörte auf, die Iren entsandten nach London zum Oberhause 32 gewählte Peers (Lords), darunter 4 Bischöfe, zum Unterhaus 100 Abgeordnete. 1801 trat das erste Gesamtparlament zusammen. Aber infolge der Testakte von 1673, welche von allen Beamten und Abgeordneten das Bekenntnis zum kirchlichen Supremat des Königs und zum Abendmahl unter bei derlei Gestalt und die Verwerfung der Transsubstantiation forderte, konnten nur Protestanten in das Parlament gelangen, und die katholischen Wähler waren genötigt, unter den protestantischen Kandidaten denjenigen auszusuchen, der ihnen am wenigsten unangenehm war. Gegen diese Ungerechtigkeit erhob sich aufs neue der irische Volksgeist, O’Connell (1775-1847), Rechtsanwalt in Dublin, ein Mann von achtunggebietender Gestalt, dröhnender Stimme, schlagfertigen Witz und großer Beredsamkeit, stellte sich 1823 an die Spitze der „katholischen Association", welche die Emanzipation (Befreiung) der Katholiken forderte. Obwohl er als Katholik gesetzlich nicht wählbar war, sandte ihn doch die irische Grafschaft Clare ins Unterhaus. Da lenkte selbst ein so harter Tory wie der „Eiserne Herzog“ von Wellington, der Sieger von Waterloo, damals erster Minister, ein und setzte im April 1829 die Emanzipation der Katholiken durch. Die Testakte ward abgeschafft und von denen, welche ein Amt bekleiden sollten, nur noch der Eid verlangt: „Ich schöre beim wahren Gott der Christen, daß ich das Amt niemals zum Schaden der Kirche von England mißbrauchen werde.“ Damit war die Wählbarkeit der Katholiken zum Parlament zugestanden. Aber gleichzeitig wurde der Vermögenssatz, der zu Vornahme der Wahl berechtigte, so erhöht, daß ⅞ der irischen Völker ihr Wahlrecht verloren. Das irische Proletariat, der der Fahne O’Connells und der Bischöfe folgte, ward politisch

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mundtot gemacht.
Deshalb gab sich O’Connel nicht zufrieden. Er stiftete 1830 die „Association of Repeal“, d.h. den Verein für „Widerruf“ der Einheit mit England, womit die Forderung eigener Regierung und eines eigenen Parlaments für Irland gegeben war, und dieser Ruf, ohne rechtes Echo, gewann doch allmählich an Werbekraft. Infolge schwerer Mißernten geriet die Insel seit 1841 in immer größeren Not, und die Einwohnerzahl sank von da bis zum Ende des Jahrhunderts durch massenhafte Auswanderung nach Amerika von 8 Millionen auf 4⅓ (von denen etwa 700 000 neben Englisch noch Irisch, 40 000 nur Irisch sprechen). Von diesen 4,3 Millionen sind 3,3 römisch-katholisch. Unter den amerikanischen Iren bildete sich 1861 der Geheimbund der Fenier (= Krieger), der auf völlige Zerreißung jedes Bandes zwischen Irland und England und auf Errichtung einer irischen Republik hinarbeitete. Er unterhielt in Irland eine fortwährende Gährung, welche sich in Mord- und Gewalttaten gegen die Engländer Luft machte. In London sah man wohl ein, daß man bloß durch Zugeständnissen allmählich die Beruhigung der Insel erreichen könne. 1836 wurde der Bund der Oranienmänner wegen Störung des konfessionellen Frieden aufgelöst (unter der Hand bestand er freilich weiter) und wie 1838 der Kirchenzehnt in eine weit geringen Geldabgabe verwandelt worden war, so wurde 1869 die evangelische Kirche in Irland ihrer Vorrecht entkleidet, ihre Bischöfe aus dem Oberhaus entfernt. Sie erhielt aber gegen 40 Millionen Mark Entschädigung und ein festes Vermögen von 10 Millionen. Unter den Iren bildeten sich infolge der Zugeständnisse verschiedene Richtungen. Die einen wollten sich mit einem ständigen Parlament begnügen. Andere, wie die 1879 von dem Fenier Michael Davitt gestiftete Landliga, wollte „Irland für die Iren“, also völlige

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Vertreibung der Landlords und Aufteilung ihrer Güter unter die irische Pächter.

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 Auf diesen Standpunkt trat auch der Nachfolger O’connells, Parnell (1846-1891). ein protestantischer Ire, der aber so nachdrücklich wie nur irgend ein Katholik „Home rule“ (Selbständigkeit) und Landverteilung verlangte. Die Landliga wandte jedes Mittel an, um zum Sieg zu gelangen. Bekannt ist das der geschäftlichen Verfemung durch Abbruch alles Verkehrs, das 1880 erstmals gegen den Gutsverwalter des Grafen Erne, Kapitän Boycott, wegen seiner Strenge angewandt wurde (seither boykotten = geschäftlich ächten). Am 6. Mai 1882 fielen der erste Sekretär für Irland Lord Cavendish und der Unterstaatssekretär Burke unter den Dolchen fenischer Mörder im Phönixpark zu Dublin. Auf die Hinrichtung der Mörder und strenge Strafgesetze antworteten die Fenier mit Dynamitanschlägen in London und anderen englischen Städten.
Gladstone gewährte durch ein Landbill schon im August 1881 den Pächtern die „3 F“ (fixity of tenure = Festigkeit der Pacht gegen willkürliche Kündigung, free sale = freies Verkaufsrecht der Pachtstelle unter Einhaltung der auf dem Gut lastenden Verpflichtungen, und fair rent = billige Pacht, die schlimmstenfalls gerichtlich festzusetzen war). Da die Landliga trotzdem auf Home rule als Vorbedingung jeder Versöhnung bestand, so brachte Gladstone, dessen Wahlreform von 1884 dem irischen Proletariat das Stimmrecht zurückgegeben hatte, im April 1886 zwei Gesetzentwürfe ein,

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von denen der erste den Iren Home rule mit eigenem Parlament in Dublin gewährte, der zweite 40 Millionen Pfund Sterling zum Ankauf großer irischer Güter verlangte, welche dann in Form staatlicher Erbpacht an die irischen Bandbauern verteilt werden sollten: Diese Politik Gladstones entfremdete ihm einen Teil seiner Parteigenossen (der Wighs), die als „liberale Unionisten“ sich den Tories näherten und 1912 völlig mit ihnen verschmolzen. Das Unterhaus lehnte die Home-rule-Bill am 7. Juni 1886 ab, bei der darauffolgenden Auflösung blieb Gladstone in der Minderheit und wurde durch den konservativen Salisbury ersetzt. Bei den Neuwahlen 1892 kehrte er jedoch an die Spitze der Regierung zurück und brachte Februar 1893 eine neue Home rule-Vorlage ein. Darin sollte Irland unter einem Vizekönig stehen, der auf je 6 Jahre bestellt wurde. Ein „Rat“ von 48 Mitgliedern (davon 15 aus Ulster) und eine „Versammlung“ von 103 Mitgliedern (davon 27 aus Ulster), beide auf 6 Jahre gewählt, sollten die Gesetzgebung in Händen haben, aber nur über irische Fragen beschließen, ins Reichsparlament sollte Irland nur noch 80 Abgeordnete senden, die über besondere englische Fragen nicht mitstimmten. Die gesamte öffentliche Meinung nahm mit Leidenschaft für und wider Partei. Die Protestanten in Ulster rüsteten sich zum äußersten Widerstand (Home rule means Rome rule). Schließlich nahm das Unterhaus am 1. September 1893 das Home-rule-Gesetz an, das Oberhaus lehnte es aber mit überwältigender Mehrheit ab. 1894 mußte der fast erblindete Gladstone sich ins Privatleben zurückziehen. Bei den Neuwahlen 1895 und 1900 waren Tories und liberale Unionisten in starker Mehrheit. Damit war jeder Gedanke an Home rule begraben.
Gleichwohl war Salisbery, Balfour und Chamberlain, die maßgebenden Männer der neuen Regierung, davon

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durchdrungen, daß den berechtigten Forderungen der Iren Erfüllung zuteil werden müsse. Durch ein Gesetz vom Juli 1896 sollte den Pächtern der Landankauf erleichtert werden, 1895 wurde die englische Ortsverwaltung durch gewählte Körperschaften auch auf Irland übertragen, im August 1903 eine neue Landbill, seit 70 Jahren die 41., eingebracht, nach welcher in 15 Jahren 100 Millionen Pfund-Sterling als Staatsdarlehn aufgewandt werden sollten, damit die Pächter sich eigenes Land kaufen konnten. Die Grundbesitzer sollten den 28 fachen Betrag der Jahrespacht für den Verkauf ihrer Güter erhalten, wozu noch weitere Summen ausgeworfen wurden. Die Pächter sollten ⅘ der bisherigen Pacht zur Tilgung des Staatsanlehens bezahlen. Das Gesetz wurde 1903 angenommen.
Die liberale Regierung Sir Campbell Bannermans (1836-1908), welche 11. Dezember 1905 eine gewaltige Mehrheit von 400 Mann (gegen 157 Tories und liberale Unionisten, 83 irische Nationalisten und 29 von der Arbeiterpartei) erhielt, schlug 1907 die Einrichtung eines für irische Verwaltung zuständigen Rates in Dublin vor, ließ de Vorlage aber wieder fallen, weil sie auf beiden Seiten Widerspruch fand. Dagegen wurde ein anderes Gesetz erlassen, nach dem Landlords, welche ihre Pächter unter Anwendung der gesetzlichen Handhaben von der Scholle trieben, im Zwangsweg enteignet werden konnten, und im November 1907 wurden den irischen Bauern neue Vorteile gewährt. Der Verfassungskampf zwischen Unterhaus und Oberhaus (Zurückdrängung des Oberhauses) verschaffte den Iren die Rolle des Züngleins an der Wage und brachte die Home-rule-Frage aufs neue in Fluß. Das Beispiel Südafrikas, dem 1906/07 Home-rule gewährt wurde und das dafür loyale Gesinnung betätigte, machte viele frühere Gegner des Vorschlages ihm nunmehr geneigter,

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und im April 1912 brachte Asquith eine neue Vorlage ein, die für Irland einen Senat von 40 Mitglieder und ein Abgeordnetenhaus von 164 Mitglieder (davon 59 aus Ulster) vorsah. Das irische Parlament sollte nur für innere Angelegenheiten der Insel zuständig sein. Auswärtige Politik, Post, Handel u. dergl. gehen nur das Reichsparlament an, in das Irland nur noch 42 Abgeordnete entsendet. Das Besteuerungsrecht des irischen Parlamentes sollte ziemlich eng begrenzt sein. Der Lordleutnant (Statthalter) kann auf Weisung der Reichsregierung gegen jedes vom irischen Parlament beschlossene Gesetz ein Veto einlegen. Zur Deckung des irischen Defizits (von 30 Millionen Mark jährlich) soll das Reich jährlich 10 Millionen Mark besteuern, welcher Betrag später auf 4 Millionen Mark vermindert werden soll. Am 11. April 1912 nahm das Unterhaus den Entwurf an, der Widerspruch dagegen schweißte die Tories und die liberalen Unionisten zu einer einzigen Partei zusammen. Am 16 Januar 1913 wurde Home rule in dritter Lesung vom Unterhaus genehmigt, am 30 Januar vom Oberhaus verworfen, am 10 Juni vom Unterhaus abermals angenommen und am 15. Juli vom Oberhaus wieder verworfen. Eine dritte Annahme im Unterhaus mußte den Kampf entscheiden, da das Oberhaus seit der Beschränkung seiner Befugnisse „wohl noch die Zähne weisen, aber nicht mehr beißen kann“, wie Redmond, der Führer der irischen Unterhausfraktion, höhnisch sagte. Diese Rechnung war ohne die Oranienmänner von Ulster gemacht. Diese, welche die Gefahr einer nationalistischen Regierung in Dublin jetzt in nächster Nähe drohen sahen, beschlossen, unter der Führung des Abgeordneten Carson im Notfall sich mit Gewalt dagegen zu wehren, daß sie der unduldsamen irisch-katholischen Mehrheit der Insel, der es vor allem auf die Steuererträge des reichen Ulster ankam, überantwortet würden und die Einheit Großbritanniens sich auflöse. Sie bewaffneten 11 000 Freiwillige, und

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ein früherer General Richardson erklärte sich bereit, der Oberbefehl zu übernehmen. Der neue Führer der Konservativen, der Eisenhändler Bonar Law, seit Ende 1911 Balfours Nachfolger, kündigte an, daß die Unionisten nicht dafür zu haben sein würden, daß man den Widerstand Ulsters durch das Heer breche (Unisonisten-vereinigte Tories und liberale Unionisten). Als die Regierung Miene machte, die im Süden Irlands in Curragh liegenden Truppen nach Ulster zu verlegen, erklärten der Führer der dortigen Reiterbrigade General Gough und 70 von 76 Offizieren, daß sie wohl bereit seien gegen die Feinde des Königs zu reiten, nicht aber gegen Mitbürger, deren Ansicht sie teilten. Sie erbaten ihren Abschied, und nur mit Mühe wurden die militärische Fronde halbwegs durch Asquith, der in dieser Lage selbst das Kriegsministerium übernahm, zur Ruhe gebracht. Am 25. Mai 1914 genehmigte das Unterhaus Home rule in dritter Lesung, unter kalter Ruhe der Opposition. „Lassen Sie“, rief Law aus, „den Vorhang über dieses Possenspiel so bald als möglich fallen! Hier im Hause können Sie ihren Willen durchdrücken. Der wahre Kampf beginnt außerhalb dieses Hauses!“ Bei der festen Entschlossenheit der Mehrheit der Ulsterleute, sich nötigenfalls mit Gewalt der Durchführung von Home rule zu widersetzen, wurde die Lage immer gespannter. Auch die irische Nationalisten bewaffneten sich, um Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Asquith schlug nun vor, daß die Grafschaften Ulsters jede für sich abstimmen sollten, ob sie auf 6 Jahre von Home rule ausgenommen sein wollten. Dabei war zu erwarten, daß ein paar Grafschaften mit katholischer Mehrheit das Gesetz annehmen würden. Um so entschiedener bestanden Carson und Bonar Law auf der dauernden Ausnahme ganz Ulsters, und ihnen trat das Oberhaus bei. Auch das letzte Mittel des Friedens eine auf Anregung des Königs Georgs V. in den Buckingham-Palast berufene Besprechung von 2 Ministern, 2 Tories, 2 Ulsterleuten

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und 2 Nationalisten, schlug fehl (21.-24. Juli 1914), und am 26. Juli fielen in Dublin die ersten Schüsse, da die Truppen, die den Nationalisten geschmuggelte Waffen abgenommen hatten, vom Pöbel mit Steinen beworfen wurden. Die Salve streckte 4 Menschen tot nieder. Nach Ausbruch des Krieges wurde die Durchführung der Gesetze über Home rule und über die Entstaatlichung der Kirche von Wales am 18. September auf 1 Jahr vertagt. Während Redmond wegen der Gewährung von Home rule auf seiten der Regierung stand, blieb die Gährung unter den Unversöhnlichen, geführt von O’Brien, bestehen. Am 22. November 1914 erschien der Ire Sir Roger Casement, einst britischer Konsul im Kongostaat, im Auswärtigen Amt zu Berlin. Er erhielt die Versicherung, daß Deutschland aufrichtig Irlands Wohlergehen und nationale Freiheit wünsche, und daß deutsche Truppen, die in Irland landen würden, nicht als Feinde kommen würden. Der britische Gesandte in Christiania, Findlay suchte darauf Casements Diener durch Bestechung zur Ermordung seines Herrn zu bewegen.

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Frisch, Froh, Fromm und Frei

Wir haben in unserer vorigen Nummer einen Überblick über die Geistesübungen gegeben, die bei uns im Lager gepflogen werden. Zur Vollständigkeit des Bildes gehört auch die Gegenseite, die Köperübungen. Während wir hinsichtlich der geistigen Beschäftigung ganz auf uns selbst angewiesen waren, durften wir für die Übung des Körpers anfangs die Unterstützung der Japaner erwarten. Es gab eine Zeit, wo davon gesprochen wurde, daß „später einmal“ Aussicht auf tägliche Spaziergänge bestände. Dann wurde von der japanischen Verwaltung ein ausführlicher Stundenplan ausgearbeitet, in dem mancherlei Bewegungsübungen

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vorgesehen waren. Aber der ausführliche Plan wurde nicht lange ausgeführt. Wahrscheinlich sahen die Urheber schon bei den ersten Versuchen ein, daß für die Durchführung solcher Absichten mehr Platz erforderlich wäre, als uns bei der hiesigen Ort der Unterbringung zur Verfügung gestellt war. So blieb von allen diesen Anläufen nichts dauernd am Leben als die immerhin erfreuliche Verbindung der Spaziergänge nach Dogo mit einem Fußballspiel auf dem dortigen Rasenplatz. Der Chronist, der über die Häufigkeit solcher Ausflüge etwas sagen soll, hat es schwer etwas sicheres zu berichten. Sie gleichen dem Regen insofern, als sie unregelmäßig eintreten, aber zu gewissen Zeiten des Jahres seltener als zu andern. Die anfangs herrschende Ansicht, daß sie wöchentlich stattfinden, wird wohl kaum noch Anhänger zählen. Auch darin besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Regen, daß man am Abend vorher noch nicht wissen kann, ob am nächsten Tage ein Spaziergang stattfindet oder nicht. Man kann ferner sagen, daß in Erwartung eines Regens der Spaziergang ausfällt, nicht aber in Erwartung eines Spazierganges der Regen. Die auffallendste Regelmäßigkeit besteht hinsichtlich der Wochentage. Die Behauptung, daß der Freitag den Spaziergängen gehört, ist jedoch dahin abzuändern, daß an anderen Tagen sicher kein Spaziergang unternommen wird. Nächstdem ist die regelmäßigste Seite der ganzen Erscheinung die, daß 30/50 % des Spazierweges durch die Straßen von Matsuyama führen, wie das der Bedeutung dieses aufblühenden Brennpunktes der Gewerbe und dem Wunsche seiner Bewohner entspricht, ihre besten Kunden gelegentlich einmal zu sehen. Im Sommer wurden statt der Spaziergänge auch gelegentlich kurze Badeausflüge an den Fluß unternommen. Sonnenbäder sind dabei bisher nicht eingeführt worden, ein unzureichender Ersatz dafür ist das Verbot,

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Sonnenhelme zu tragen.
So weit die amtliche Fürsorge für unsere Bewegung! Was daneben in den einzelnen Tempeln von uns selbst aus geschehen ist, um den Körper geschmeidig zu erhalten, das zeigen die folgenden Einzelschilderungen. Die amtliche Beteiligung daran seitens der Lagerverwaltung hat sich in der Hauptsache darauf beschränkt, daß das Faustballspiel auf den Tempelhöfen größtenteils verboten wurde, ebenso das Auflassen von Drachen, dem gar zu leicht ein Fluchtversuch verbunden werden konnte.

Tennis (Yamagoe)
In der Kriegsgefangenschaft hat man reichlich Zeit darüber nachzudenken, wie man sein Los besser gestalten könnte, und so ist es nicht erstaunlich, wenn schon gleich nach den ersten warmen Tagen des Jahres 1915 vielfach der Gedanke geäußert wurde, einen Tennisplatz zu schaffen. Das Lager Yamagoe bot reichlich Platz dazu, und die japanischen Priester waren mit Vergnügen bereit, ein Stück des in ihrem Besitz befindlichen Geländes zur Verfügung zu stellen. Anfang April 1915 traten wir mit dem Ersuchen die Anlage eines Tennisplatzes, sowie eine Turnplatzes für die Mannschaften, zu genehmigen an die Lagerbehörde heran. Dieselbe „überlegte“ 6 Wochen und gestattete uns am 19. Mai 1915 ein innerhalb des Lagers gelegenes verwahrlostes Bohnenfeld von dem Schokenji-Priester gegen monatliche Zahlung von Y 5,- zu mieten und darauf auf eigene Kosten einen Tennisplatz anzulegen. Sofort wurden nun die Arbeiten in Angriff genommen. Die Erdarbeiten wurden von Soldaten der K. 5 ausgeführt; die zum Tennis notwendigen Gerätschaften wurden in Kobe bestellt. Die zahlreichen Geländeschwierigkeiten wurden ebenso überwunden, wie die Hemmnisse,

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die darin bestanden, der Lagerbehörde klar zu machten, daß man einen Tennisplatz nicht anlegen kann, ohne das abschüssige Gelände zu ebnen und mit Sand zu bedecken. Der lehmige Boden bildete eine geeignete Unterlage, und der aufgeschüttete verwitterte Fels eine gute Decke. Große, mit Kaki imprägnierte Fischernetze gaben das Umfassungsnetz ab. In den ersten Tagen des Juni war die Anlage des Platzes schon so weit fortgeschritten, daß sich mit Genehmigung von Herrn Major Kleemann die „Ballspiel-Vereinigung“ bilden konnte. Die Leitung übernahm Herr Hauptmann Stecher; die Mitgliederzahl betrug zu Anfang 16, später 18. Die Hauptaufgabe bestand zunächst darin, die erheblichen Anlagekosten (gegen Y 300,-) aufzubringen. Am 20. Juni konnten die ersten Bälle geschlagen werden. Der Platz erwies sich als vorzüglich, zur Ehre seines Schöpfers Festungsbaufeldwebel Karius. Regenwürmer und Scharen von Ameisen räumten fluchartig das Gelände, als wir ihre eingebauten Stellungen mit Petroleum angriffen. Auf dem Turnplatz wurde ein Reck, ein Barren und ein Pferd aufgestellt.
Der Ansturm zum Tennisplatz war von Anfang an gewaltig; es war ein lang entbehrtes Vergnügen die alten eingerosteten Glieder wieder tüchtig bewegen zu können. Die Sportwut mußte in die geregelten Bahnen einer Spielordnung geleistet werden, die jedem Mitgliede durchschnittlich 2 Stunden innerhalb 4 Tagen sicherte. Das Jahr 1915 hat den Platz selten leer gesehen, es sei denn, daß der japanische Regengott seiner Abneigung gegen jeglichen Sport Ausdruck gab. Selbst die Augusthitze konnte dem Spieleifer kaum etwas anhaben. Mit wenig anderem bekleidet, als einem das Haupt bedeckende Lotusblatt wurde den ärgsten Sonnstrahlen Trotz geboten, und unser fürsorglicher Herbergsvater war ernstlich bekümmert,

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daß die Keuschheit seiner spießtragenden Schäflein Schaden litte.
Als im Oktober die Tage kühler wurden, maßen sich die Mitspieler der „Ballspielvereinigung“ in friedlichen Wettkampf. Die Schlußspiele des 12 Tage dauernden Turniers hatten folgendes Ergebnis:

1. Einzelspiel mit Vorgabe:
Sieger: G. Meyer ( -15 3/6) gegen Homann ( -15)
6-5, 1-6, 6-4

2. Einzelspiel ohne Vorgabe: (Meisterschaft)
Sieger: F. Siemssen gegen Homann,
6-3, 7-5, 7-5

3. Doppelspiel mit Vorgabe:
Siegendes Paar: Lt. Mohr/G. Meyer (-15 3/6) gegen Hpt. Stecher/
Obl Meyer (-15) 6-4, 3-6, 6-4

4. Doppelspiel ohne Vorgabe:
Siegendes Paar: F. u. W. Siemssen gegen Lt. Rumpf/Homann,
4-6, 6-3, 6-2

Die Sieger erhielten Ehrenpreise.
Kurz nach dem Tennisturnier fand auf dem Turnplatz in Anwesenheit von Kameraden aus Kokaido und Dairinji ein Wetturnen statt.
Mitte Dezember setzte die unfreundliche Witterung und die Feuchtigkeit des Bodens dem Tennisspiel ein Ende. Der wetterfeste Faustball trat an seine Stelle und das scheinbar so gemütvolle, in Wahrheit die menschlichen Leidenschaften bis auf tiefste aufwühlende Croquet. Erst in den ersten Tagen des April konnten die Schläger wieder hervorgeholt werden, und jetzt ist die zweite und hoffentlich letzte Matsuyama-Tennissaison bereits in vollem Gange. -

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Turnen (Yamagoe)
Seit dem bestehen des Turnplatzes, den die Tennisvereinigung bei der Anlage ihres Spielplatzes hatte absparen können, trat im Lager der Wunsch auf, einen geregelten Turnbetrieb einzuführen. So wurde im Juli 1915 mit 80 Mitgliedern der „Turnverein Yamagoe“ mit Herrn Sergt. Clauss als Turnwart und Herrn Sergt. Jansen als seinen Stellverstreter begründet. Er gliederte sich in drei Riegen, an deren Spitze Herr Sergt. Jansen, Pionier Schrader und Sees. Röser standen. Diese 3 Riegen turnten je dreimal wöchentlich. Dazu kam später noch ein Alte-Herren-Riege, die zu andern Zeiten turnte, unter Anleitung der Herrn Sergt. Linke und Clauss. Nach etwa 2 monatl. Bestehen des Turnvereins wurde das Turnfest gefeiert, über dessen Verlauf schon berichtet worden ist.
Nach dem Sportfest wurde ein Pferd gebaut, und an Kaisersgeburtstag konnten Übungen und Pyramiden daran gezeigt werden. Die Nässe des Platzes hinderte dessen Benutzung im Winter. Die einzelnen Tempel beschafften sich darauf je ein Reck, und von nun an fand das Turnen nach Tempeln gesondert statt. Da Steinstoßen in den Tempelhöfen von den Japanern verboten worden ist und zu Sprungübungen der Platz nicht ausreicht, so beschränkt sich das Geräteturnen seitdem meist auf Übungen am Reck.
Dairinji

Von Bewegungspielen werden in Dairinji Faustball und Croquet gepflegt. Für das Fausballspiel war ein 6 m hohes 8 m breites Netz erforderlich zum Schutze der Wache. Es ist von Kameraden gestrickt worden, und seine Kosten wurden zum Teil aus den Liebesgabenfonds für Turngeräte, zum Teil aus privaten Mittel gedeckt. Von den Faustbällen erhielten wir

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einen als Liebesgabe zu Weihnachten, 3 andere wurden auf eigene Kosten beschafft. Das Croquetspiel, das sich großer Beliebtheit erfreut, ist dem Lager geschenkt worden.
Was das Turnen betrifft, so sind alle vorhandenen Turngeräte aus den Mitteln beschafft worden, die als Liebesgabe für Sportzwecke gestiftet worden sind. Es besitzt Dairinji 1) ein Reck, 2) einen Barren, 3) Sprunggerät, 4) einen Quader und eine Kugel aus Eisen für Steinstoßen. Die Beschaffung von Holzstäben für Freiübungen ist von der japanischen Verwaltung ohne Angabe von Gründen verweigert worden.
Von den 4 Turnriegen werden außer den Geräteübungen Steinstoßen, Laufen und Freiübungen regelmäßig gepflegt. Es bestehen folgende Riegen:

1. Riege, 9 Teilnehmer, Vizefeldwebel Zimmermann
2. Riege, 9 Teilnehmer, Vizwachtm. Hentschel
3. Riege, 9 Teilnehmer, Sergt. Ketscher
4. Riege, 9 Teilnehmer, Untffz. Menke
Jede Riege turnt seit Mitte Dezember 1915 3 Stunden wöchentlich.
Kokaido
Die ersten Geräte, Reck und Sprungständer, wurden Ende 1914 angeschafft. Benutzt wurden die Geräte hauptsächlich während der von den Japanern eingeführten Bewegungsstunden. Höchstens 20 Turner benutzten die Geräte recht unregelmäßig noch außerhalb dieser Stunde. Gegen Ostern 1915 fielen die Bewegungsstunden gänzlich fort, die Geräte wurden wenig benutzt. Anfang Mai 1915 bildete sich die erste Riege, Gipfelturner und die zweite Riege. Die Zweite Riege turnte regelmäßig 3 mal wöchentlich mit durchschnittlich 10 Mann, die erste unregelmäßig mit schwankender Beteiligung. End Juli 1915 schlief das Riegenturnen

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wieder ein, begann jedoch um so kräftiger von neuem Anfang September. Durch Sammlung in der Kompanie wurde es uns möglich, noch einen Barren hinzubauen zulassen, der Anfang September fertiggestellt war. Das Turnen wurde mit 6 Riegen aufgenommen, die folgende Stärke hatten:

1. Riege 13 Turner
2. Riege 13 Turner
3. Riege 15 Turner
4. Riege 15 Turner
Alters-Riege 15 Turner
Elite-Riege 9 Turner, im ganzen 80 Turner

Die 4 ersten Riegen turnten 3 mal, die beiden letzten 2 mal wöchentlich. Die 3. Riege mußte, da noch einige Turner hinzukamen, geteilt werden. Vorturner stellte die erste Riege. In dieser Einteilung turnten wir bis zum Turnfest am 15. November 1915. Am diesem Turnfest beteiligten sich die Alters-Riege und die Riegen 1-4 mit zusammen 55 Geräteturnern. Jeder Turner hatte, sowohl am Reck, wie auch am Barren je eine Pflicht- und eine Kürübung auszuführen. Daneben wurden Freiübungen und Reigen geübt. Nach dem Turnfest fand eine Neueinteilung der Riegen statt, da einige der alten Turner zum Teil wegen Krankheit, zum Teil auch aus Zeitmangel wegen der inzwischen eingerichteten Unterrichtskurse ausschieden. Fortab turnten 73 Turner 2 mal wöchentlich in folgenden 6 Riegen:

1. Riege 13 Turner
Riege Ia. 12 Turner
2. Riege 13 Turner
3. Riege 13 Turner
4. Riege 10 Turner
Altersriege 12 Turner

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Den auf uns entfallenen Anteil einer Stiftung zur Anschaffung von Turn- und Spielgeräten verwandten wir zum Ankauf von schweren Hanteln und einem Pferd. Die Hanteln erhielten wir Mitte Febraur, das Pferd Mitte März.

Der Pflege der Bewegung dient auch die „Kegelbahngesellschaft Kokaido“. Die Bahn wurde eröffnet am 23. Juni 1915. Vom 6 September bis 6. Oktober fand eine Preiskegeln statt. In Anrechnung gebracht wurden die 4 besten Resultate, Zählen erfolgte nach Holz. 5 Preise, meist Tonmodellierungen hiesiger Gegend, lohnten die Sieger. Diese waren:

1) W. Arps 1192 Punkte (bei 220 Vorgabe), 2) Keyssner 1192 Punkte (Vorgabe 280), 3) Rensing 1188 (280), 4) Riehle 1185 (260), 5) Bähr 1171 (260). Im notwendig gewordenen Entscheidungskegeln zwischen 1 und 2 siegte Arps, Sieger, ohne Vorgabe gerechnet, war Martin mit 1013 Punkten.

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Musendienst.

Wenn ein Gefangener aufgefordert würde, die ihn nächstliegende Einteilung der Musen zu geben, dann würde ihm vermutlich am besten die Einteilung in solche scheinen, denen man hörbar, und in solche, denen man unhörbar dient. Mancher würde auch mit Bedauern feststellen, daß die Unhörbaren in der Minderzahl sind. Wir dürfen unter diesen als die ernsteste die Muse der Geschichte nennen und ihren Dienst hier im Lager in aller Bescheidenheit zu den Obliegenheiten unseres Lagerfeuers rechnen. Auch der zeichnenden Muse würden wir gerne unsere schwachen Kräfte weihen, wenn sich nicht technische Schwierigkeiten dem entgegenstellten, die wir bisher noch nicht mit dem wünschenswerten Erfolge haben überwinden können. Wir hoffen aber mit der Zeit auch dem gerecht werden zu können, was an bildnerischer

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Kunst hier geleistet wird.

Zu einer Seitenlinie des weniger hörbaren Musendienstes, gleichsam zum Dienste einer geistigen Tanzmuse, möge auch das Schachspiel gerechnet werden. Es hat in Yamagoe seinerzeit eine der glänzendsten Leistungen der Pionierindustrie hervorgerufen, die Drechselung von Schachfiguren auf der selbstgefertigten Drehbank, deren Herstellung allein schon als ein Kunstwerk Erwähnung verdient. Schach wird in allen Tempeln mehr oder weniger eifrig gespielt. Selbst Schachturniere haben im vorigen Jahre überall stattgefunden. Die Sieger waren in Yamagoe: 1) Timm, 2) Vzw. Goldschmidt, im Dairinji: 1) Vzw. Knoll 2) Vzfw. Wittig.

Im Kokaido gab es sogar 2 Schachturniere. Das erste im Januar 1915 ohne Vorgabe ergab bei 33 Teilnehmern folgende Preisträger:

1) Katzenstein 123 Punkte (gewonnen 60, Remis 3, verlor 1)
2) Röhr 106 (53 - 0 - 11)
3) Wacker 101 (48 - 3 -11)

Das zweite im Januar 1916, an dem 18 Spieler teilnahmen, war ein Vorgabetrunier, gespielt in zwei Ausscheidungs- und einer Endrunde. Das Ergebnis der Endrunde war:

1) Hauger 24 Punkte (Vorgabe +14)
2) Hasche 21 Punkte (+14)
3) Euchler 18 Punkte (+10)
4) Katzenstein 17 Punkte (+0)
5) v. Costenobel 17 Punkte (+5)
6) Gornick 16 Punkte (+10)
Außerdem fand ein Skat-, ein Bridge- und ein Pingpongturnier statt.
Unter den hörbaren Musen haben diejenigen der Schauspielkunst gelegentlich Anhänger gefunden, und wir haben über diese

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Leistungen bereits berichtet. Der Löwenanteil des hörbaren Musendienstes entfällt aber naturgemäß auch die Musik. Im Dairinji bestehen folgende Kurse:

1) Gesang: Vzw. Hönemann, etwa 20 Teilnehmer, 3 Stunden
wöchentlich (Mai, Juni und Juli 1915). Eingeübt
wurden 4 stimmige und einstimmige Lieder.
2) Gesang: Gfr. d. Landst. Jakoby, 16 Teilnehmer, monatl. 1 Wo-
che lang tägl. 1 Stunde. Einübung katholischer Kir-
chenlieder für den monatl. katholischen Gottesdienst.
3) Geigenuntericht: Vzw. Hönemann 3 Teilnehmer, 4 Stunden
wöchentlich seit Anfang Februar 1916.
Die Gesangübungen dürfen unter der Glocke stattfinden, während die Geigenspieler hinter das Waschhaus mit ihren Übungen verbannt worden sind.
Im Yamagoe hält seit Anfang 1915 Utffz. Schulz am Montag, Mittwoch und Freitag Gesangübungen mit 33 Sänger ab, deren Kunst vielfach bei mehr oder weniger festlichen Gelegenheiten zur Geltung gekommen ist. Hoffnungsvolle Anfänge zeigt das Streichorchester, das bisher zwei erste Geigen, 2 Obligatgeigen und 3 zweite Geigen zählt. Auch ein Cello und ein Baß würden es schon seit Wochen vervollständigen, wenn es schon gelungen wäre, Saiten für diese aufzutreiben. Vier weitere Geigenkünstler sind eifrig beim Lernen. Täglich Übungen trotz manchen Widerspruches der Unmusikalischen bürgen dafür, daß ein Streichkonzert in unseren „Tempelpark“ nur noch eine Frage kurzer Zeit sein dürfte.
Kokaido genießt gegenüber den beiden andern Tempeln den Vorzug eines besonderen Musikzimmers, und dort ist dementsprechend auch die Entwicklung des Orchesters am weitesten vorgeschritten. Neben einer wohlbesetzten Schrammelkapelle und

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mehreren Geigenkünstlern hat dort die Erwerbung eines Klaviers die Möglichkeit zur Veranstaltung von musikalischen Unterhaltungsabenden gegeben, deren Abhaltung im Yamagoe z.B. leider schon deswegen ausgeschlossen ist, weil dort die einzelnen Tempel nach 6 Uhr abends nicht mehr miteinander in Verbindung treten können, und daher auch ein abendliches Zusammenwirken der Musizierenden unmöglich ist. Nach dem Vorbilde jenes Mannes, der zwar selbst keine Gelegenheit hatte an Festessen teilzunehmen, aber dafür wenigstens die Speisefolge von solchen sammelte, werden wir die Inhaltsangaben der bisherigen Musikabende des Kokaido in einer späteren Nummer folgen lassen.

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Rätselecke.

Steigerungs-Rätsel

1
Es zeigen das Wort unsre Führer im Feld
Gesteigert macht es unsre Kleider für Geld.
2
Das Wort ist ein Stoff für der Frauen Gewand.
Gesteigert ein Städtchen im Posener Land.
3
Die schönste Zeit in gemäßigten Zonen
Gesteigert der Name von vielen Personen.
4
Wir sind nicht das Wort im fremden Land;
Gesteigert ersehnt es den Ehestand.
A. Dt.

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Auflösung der Charade in Nr. 13: Saloniki.

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